Der Baltrum - Versuch
Rückblick auf die erste Phase eines Forschungsprojektes (1995-1997)

Von Prof. Dr. Jost H. Dustmann, Ligusterweg 8, 29227 Gelle

 

Die Veröffentlichung von Otto Boecking „Der Baltrum - Versuch“ (Deutsches Bienenjournal 12 (2) 2004, S. 18-20 ) veranlaßt mich, über die Ergebnisse eines thematisch gleichlautenden Forschungsprojektes zu berichten, das zeitlich den Arbeiten von O. Boecking vorausgegangen war (vgl. Jahresberichte des Celler Bieneninstituts 1996 -1999 sowie diesbezügliche Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften. *1) In dem Aufsatz von O. Boecking fehlte zu meinem Erstaunen jeglicher Hinweis auf die damaligen vom Celler Bieneninstitut 1995 - 1997 durchgeführten Arbeiten bzw. erzielten Versuchsergebnisse. Es erscheint mir daher gerechtfertigt, angesichts der nicht abgeschlossenen Diskussion um die Sicherheit der Insel-Belegstellen die damals erzielten Ergebnisse und Schlußfolgerungen aus dem Baltrum - Versuch  der norddeutschen Imkerschaft in Form eines Überblickes vorzustellen.

Durch einen ministeriellen Erlass vom 12.10.1994 war das Nieders. Landesinstitut für Bienenkunde beauftragt worden, die Eignung einer vom Landesverband Niedersächsischer Buckfastimker e.V. beantragten Bienenköniginnenbelegstelle auf der Insel Baltrum  zu überprüfen. Hierbei war insbesondere die Frage zu klären, ob die Einrichtung einer Belegstelle auf Baltrum die Sicherheit für Reinpaarungen bei den benachbarten Inselbelegstellen Norderney und Langeoog gefährden würde.

In einem ersten Abschnitt von Feldversuchen wurde 1995 und 1996 folgende Testanordnung gewählt: Um zu erfahren, ob auch bei Abwesenheit von Drohnenvölkern auf Baltrum Paarungen der dort aufzustellenden Königinnen stattfinden, wurden in 3 Serien jeweils 24 unbegattete Geschwisterköniginnen der Celler Carnica Linie auf der nachweislich drohnenfreien Insel Baltrum aufgestellt. Zur Kontrolle der Paarungstauglichkeit standen jeweils 12 Völkchen mit gleichem Bienenmaterial auf den Belegstellen Langeoog und Norderney. Zeiträume der Serien: I: 12.06. - 03.07; II: 03.07. - 24.07.; III: 24.07. - 16.08.1995. 1996 erfolgte eine entsprechende Wiederholung des Versuches. Hiermit sollte ein eventuell eintretender Kontakt zu den regulär betriebenen Belegstellen auf Langeoog und Norderney geprüft werden. Die abnorm erscheinenden Testbedingungen waren einzuhalten, da der Belegstellenbetrieb auf Langeoog und Norderney weiterlaufen und der Baltrum - Versuch im Einklang mit den behördlichen Auflagen stehen sollte.

Paarung auch ohne Baltrum Drohnen möglich

Es wurden folgende Befunde erzielt:

1.) Obwohl auf Baltrum keine Drohnenvölker aufgestellt und Drohnen nicht vorhanden waren, *2) wurde ein bemerkenswerter Teil der Baltrum - Königinnen von Drohnen begattet. Das Begattungsergebnis variierte je nach Serie der aufgestellten Testköniginnen zwischen 46%  und 10%. Die erfolgreich begatteten Königinnen produzierten ein normales Arbeiterinnenbrutnest.

2.) Die Herkunft der an der Paarung beteiligten Drohnen (benachbarte Inseln ? Festland ?) konnte erwartungsge­mäß aufgrund optischer Kennzeichen nicht ermittelt werden. Erste Hinweise sollten molekulargenetische Vaterschaftsanalysen (DNA - Test über Microsatteliten) der Nachkommen liefern. Aus Kostengründen konnten zunächst nur 10 Baltrum Königinnen mit ihren Nachkommen eingesetzt und mit dem Allelmuster der Langeoog - bzw. Norderney - Königinnen verglichen werden. Dieser DNA - Test ließ den Schluß zu, dass zumindest 1 Baltrum - Königin (Serie 1995) sich mit Langeoog - Drohnen, eine weitere sowohl mit Drohnen von Langeoog als auch von unbekannter Herkunft gepaart hatten; 8 Königinnen hatten sich nur mit Drohnen unbekannter Herkunft gepaart.

3.) Die begatteten Königinnen begannen sehr verzögert mit der Eiablage (Ø im Alter von 35 Tagen gegenüber 18,6 Tagen bei den Kontrollköniginnen). Die erschwerten Paarungsbedingungen und die gegenüber der Norm reduzierte Spermienmenge in der Spermatheka dürfte hierfür verantwortlich gewesen sein.

4.) Die Paarungshäufigkeit war bei den Baltrum - Königinnen signifikant niedriger als normal: Für Langeoog­und Norderney - Königinnen (Serie III 1995) ergab sich eine Häufigkeit von Ø 12,9 bzw. 11,7 Drohnen, während die Baltrum Königinnen sich nur mit Ø 6,3 Drohnen paarten.

5.) Die Ausflüge der Königinnen kön­nen sich auf eine abnorm lange Zeit­spanne erstrecken: auf Baltrum wurden bei Hochwassertide maximal 2x50 Minuten beobachtet (Rückkehr mit sichtbarem Begattungszeichen).

6.) Über den z.T. mit Wasser bedeckten Wattflächen ließen sich auch bei Ebbe per Pheromon - Köder keine, ggf. vom Festland stammende Drohnen anlocken, wohl aber wenige Meter südlich davon entlang des Festlanddeiches.

  Tab. 1: Begattungsergebnisse der Testköniginnen von Baltrum, Langeoog und Norderney (Serie III 1997) und Farbe der Abdominalringe der Nachkommen.
Die Daten wurden von J.P. van Praagh zusammengestellt.

Drohnenvölker auf Baltrum

Der Paarungstest 1995/96 konnte erwartungsgemäß nicht zeigen, ob ein Belegstellenbetrieb auf Baltrum die geschützten Belegstellen auf Langeoog und Norderney gefährden würde. Hierzu mußte im 3. Versuchsjahr (1997) eine umgekehrte, reziproke Versuchsanordnung vorgenommen werden, wobei wir es wagten, auf Baltrum „fremdrassige“

  Arbeiterinnen mit auffällig gelben Ringen am Abdomen, in Alkohol konserviert.
Foto: Dustmann

Drohnenvölker und auf den benachbarten Inseln wiederum unbegattete Test Königinnen (Carnica) aufzustellen. Dem Plan lag folgendes Konzept zugrunde:

-          Aufstellung von 5 starken, viele Drohnen liefernden Völkern auf Baltrum in der Zeit vom 3.06. bis 31.08. 1997 (Durch intensive Gelbfärbung am Abdomen optisch auffälliges Bienenmaterial, Buckfast - Ligustica - Hybriden).

-         Verlegung der regulären Belegstelle Langeoog mit 9 Drohnenvölkern um 6,8 km nach Osten zur sog. Meierei, damit zumindest für einen Teil der Saison der reguläre Belegstellenbetrieb aufrecht erhalten werden konnte. Am 16. 07. Entfernung aller Drohnenvölker von Langeoog.

-          Normaler Belegstellenbetrieb auf Norderney.

-          Aufstellung von insgesamt 396 unbegatten Testköniginnen (Carnica) verteilt auf 4 Serien und 8 verschiedene Plätze (siehe Skizze): *3)

a) Langeoog: auf der ehemaligen, nun mehr drohnenvölkerfreien Belegstelle Heerenhusdünen, auf dem westlichen, in der Nähe des Hafens gelegenen Inselbereich sowie auf der neuen Belegstelle „Meierei“.

b) Norderney: auf zwei Plätzen im Ostteil der Insel (5,1 bzw. 10,2 km öst­lich der Belegstelle) sowie unmittelbar auf der Belegstelle

c) Baltrum: in unmittelbarer Nähe der Drohnenvölker sowie 500 Meter südlich davon entfernt (Wäldchen).


- Die 4 Serien erstrecken sich auf folgende Zeiträume (1997):

a) Serie  I: 03.06. - 27.06. / 120 CC

b) Serie  II: 27.06. - 16.07. / 108 CC

c) Serie III: 16.07. - 06.08. / 132 CC *

d) Serie IV: 06.08. - 28.08. / 36 CC *

* keine Drohnenvölker auf Langeoog

- Nach Ende der jeweiligen Serienzeit, d.h. des Inselaufenhaltes, wurden die Völkchen unter Absperrgitter in Celle aufgestellt (geschlossener Flugraum oder freies Institutsgelände), wobei zu­sätzlich durch Stutzen eines Flügels dafür gesorgt wurde, dass ein späteres Ausfliegen der Königinnen nicht erfolgen konnte. Die 5 Drohnenvölker auf Baltrum befanden sich während der gesamten Versuchszeit in einem optimalen Zustand und lieferten sehr zahlreiche geschlechtsreife Drohnen.

Interaktionen zwischen den drei Inseln nachgewiesen

Die Ergebnisse der Versuchsreihe 1997 lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1.) Auf allen für den Paarungstest ausgewählten Königinnenstellplätzen wurden einige erfolgreich begattete Königinnen registriert, und zwar auch dann, wenn die Distanz zu den Aufstellungsorten der Drohnenvölker mehr als 6,8 km ausmachten.

2.) Ein optisch sehr auffälliger deutlicher Gelbeinschlag am Abdomen zahlreicher Nachkommen (Arbeiterinnen) der begatteten Königinnen ließ einen Einfluß der gelben Ligustica/Buckfast - Drohnen von Baltrum vermuten. Die auf der Westseite von Langeoog sowie auf der Ostseite von Norderney, also relativ nah zu Baltrum aufgestellten Königinnen zeigten bei ihren Nachkommen den „Gelbeinschlag“ überwiegend in ausgeprägter Form. Auf diesen Standorten wurden in Serie III 11 von 48 Königinnen (Langeoog Hafen und Heerenhusdünen) bzw. 7 von 24 Königinnen Norderney O. begattet.

Die Nachkommen der von Baltrum mehr abseits aufgestellten Königinnen wiesen den markanten Gelbeinschlag kaum, meist jedoch überhaupt nicht auf. Als Beispiel für die Paarungsergebnisse ist in Tab. 1 die Serie III (1997) wiedergegeben.

3.) Morphometrische Messungen, sog. Diskriminanzanalysen von 28 Flügelmerkmalen der betr. Arbeitsbienen (Serie III, Standorte Langeoog Hafen, Norderney Ost und Baltrum), ließen ebenfalls einen Einfluß der Baltrum - Drohnen vermuten, lieferten jedoch ähnlich wie die gelben Farbringe am Abdomen keinen absolut sicheren Vaterschaftsnachweis .

4.) Ein solcher Beweis konnte mit Hilfe vergleichender DNA - Analysen er­bracht werden: Der molekulargene­tische Vergleich des Allelmusters der betr. Arbeitsbienen aus der Serie III, Langeoog und Norderney, mit dem des Baltrum - Bienenmaterials zeigte, dass einige der auf Norderney und Langeoog aufgestellten Königinnen sich mit Baltrum - Drohnen gepaart hatten: 3 auf Langeoog Hafen sowie 5 auf Norderney Ost aufgestellte Königinnen waren ausschließlich von Baltrum - Drohnen begattet worden.

5.) Die Königinnen der übrigen Standplätze von Langeoog und Norderney hatten sich ausschließlich oder zusätzlich mit Drohnen anderer Herkunft als Baltrum gepaart (abzuleiten aus dem prozentualen Anteil der untersuchten Arbeitsbienen und ihrem Allelmuster).

6.) Der markante Gelbeinschlag am Abdomen der Königinnentöchter (Arbeitsbienen) geht überwiegend auf den genetischen Einf luß der Baltrum - Drohnen zurück. Dieses auf Baltrum - Herkunft weisende Allelmuster deckt sich jedoch nicht ausschließlich mit dem optisch auffälligen Gelbeinschlag. In den meisten Fällen ist eine Übereinstimmung gegeben.

7.) Eine der 5 per DNA - Analysen untersuchten Baltrum - Königinnen war trotz der in unmittelbarer Nähe stehenden Drohnenvölker nicht ausschließlich von Baltrum - Drohnen begattet worden.

8.) Wie in den beiden Vorjahren wurden lang andauernde Paarungsausflüge der Königinnen, zahlreiche Verluste sowie ein verspäteter Eiablagetermin registriert (im Vergleich zu den auf Baltrum stehenden Geschwisterköniginnen der gleichen Zuchtserie).

Schlußfolgerungen

Diverse Beobachtungen berechtigen zu der Annahme, dass zur Paarung ausfliegende Königinnen nicht nur bei Drohnenmangel, sondern auch bei ausreichendem Drohnenangebot in der näheren Umgebung lang andauernde Flüge unternehmen, größere Flugstrecken zurücklegen, umherschweifen (vagabundieren). Dass sie hierbei auch Wasserflächen überfliegen, ähnlich wie trachtsuchende Arbeitsbienen nachweislich ein solches Verhalten zeigen, ist sehr wahrscheinlich. Ein ausreichend starker Drohnen­besatz auf einer Belegstelle bietet keine sichere Garantie dafür, dass einige Königinnen nicht aus dem üblichen Paarungsverhalten ausscheren und trotz Drohnennähe „das Weite suchen“. (Vgl. auch diesbezügliche Beobach­tungen aus der Praxis einiger Land­belegstellen). Die in 3 Versuchsjahren erzielten Befunde geben zu erkennen, dass prin­zipiell unter bestimmten Bedingungen Paarungen zwischen Königinnen der Inseln Langeoog und Norderney einerseits und Drohnen der Insel Baltrum andererseits möglich sind. Damit ist nicht gänzlich auszuschließen, dass eine Gefährdung - sie mag u.U. nur sehr geringe Auswirkungen haben - für die Carnica-Reinzucht auf Langeoog und Norderney von fremdrassigen Drohnen auf Baltrum ausgehen kann. Diese Aussage stellt nicht in Abrede, dass zusätzlich andere Drohnenherkünfte (bekannte oder unbekannte Bienenstände auf dem Festland?) als Quelle für die festgestellten Fremdpaarungen in Betracht zu ziehen sind. *4) Nach dem vorläufigen Abschluß der Inselversuche und Erhalt der restlichen DNA - Analysendaten im Frühjahr 2000 hatte ich in meinem Abschlußbericht von der inzwischen erfolgten Einrichtung einer Buckfastbelegstelle auf Baltrum abgeraten, um eine Gefährdung durch Fremdpaarung des Inselbelegstellen - Reinzuchtbetriebes auf Langeoog und Norderney so gering wie möglich zu halten. Die ggf. bestehenden Risiken aus Interaktionen zwischen Völkern des Küstenstreifens zu Belegstellenköniginnen auf Langeoog und Norderney sollten nicht zusätzlich erhöht werden, indem auf Baltrum eine Belegstelle mit fremdrassigem Bienenmaterial betrieben wird.

Danksagungen:

Meinen ehemaligen Mitarbeitern des Celler Bieneninstituts, insbesondere Herrn Prof. Dr. J.P. van Praagh, der mit der Durchführung des Projektes beauftragt worden war, und zahlreichen Imkern der niedersächsischen Landesverbände, vor allem dem Obmann für das Zuchtwesen Herrn Dipl. Ing. F. K. Tiesler, möchte ich für die tatkräftige Unterstützung herzlichst danken. Mein Dank gilt nicht zuletzt der Arbeitsgruppe Prof. Dr. R. Moritz (Institut für Zoologie der Universität Halle) für die Durchführung der molekulargenetischen Analysen und dem Ehepaar Dr. Kauhausen-Keller für die morphometrischen Mes­sungen von Flügelmerkmalen (Diskriminanzanalysen).

*1) Ein Literaturverzeichnis ist beim Autor erhältlich

*2) Im Gegensatz zu den benachbarten Inseln konnten mit Hilfe von Pheromon - Ködern (an einer Angel befestigt) auf der gesamten Insel Baltrum keine Drohnen angelockt bzw. ihre Präsenz festgestellt werden.

*3) Die geringsten Entfernungsabstände zwischen Baltrum und Norderney bzw. Baltrum und Langeoog betragen ca. 750 bzw. 1750 Meter über offenem Wasser.

*4) Aus organisatorischen und finanziellen Gründen war es nicht möglich gewesen, die Untersuchungen des Jahres 1997 auf den vorgelagerten Küstenstreifen des Festlandes auszudehnen und die Zahl der DNA - Analysen zu erhöhen.